Rekordversuch

Teil  1 / Start

Die Vorbereitungen des Begleitteams, der Fahrzeuge, meiner Ernährung, meines Trainingszustands, der Logistik, des Materials und bezüglich der Sponsoren waren am Montagmittag, 7. Juli zu Ende gegangen. Auch die Windprognosen für den (anstrengenden) Bodensee für die nächsten Tage ist mit leichtem Westwind bei 2-3 Beaufort günstig – es kann also zum Glück planmässig und entspannt losgehen.

Am Abend des 7. Juli habe ich mich alleine an meinen Startpunkt am Fluss gesetzt und mich auch gedanklich auf den Start am nächsten vorbereitet.  So weit, so gut.

Start: Um kurz nach 7:00 Uhr sass ich am 8.Juli im Kajak. Der Fluss hat inzwischen die Steinmännchen an der Mündung der Plessur weggespült  – der Pegel ist über Nacht ca. 20-30 cm gestiegen, was andere Stömungsverhältnisse bedeutet. Um 7:14 Uhr habe ich die Mündung der Plessur passiert- die Uhr für den Rekordversuch läuft…

Nachdem die Wildwasserabschnitte gemeistert waren (inklusive einer Kenterung wegen Unachtsamkeit an eigenlich harmloser Stelle), galt es nun auf ruhigeren Abschnitten den eigenen Rhythmus für die kommenden Tage zu finden.

Die Versorgung mit den notwendigen Kalorien / Essen und Material von meinem Landteam klappt hervorragend, und so bin ich am Nachmittag an der Bodenseemündung angekommen. Doch spätestens jetzt hatte ich kein Glück mehr mit dem Wind und Wetter: Die Aussfahrt in den See war schlicht unmöglich. Der Wind kam konstant mir 3-4 Beaufort + Böen aus Westen, und damit genau von vorn. Die Sturmwarnleuchte blinkte und vom See kam gerade ein letztes Boot eines Berufsfischers in den sicheren Hafen zurück…

Es blieb nur abwarten, und das bei laufender Uhr für den Rekordversuch. Schwer auszuhalten, aber nicht zu ändern. Mein Team hat Infos über Wind und Wetter eingeholt und mich erstmals mit aufmunternden und mitfieberdnen Blogbeiträgen versorgt – Wow, was für ein Aufsteller!

Um 20:00 Uhr gings bei gedrehter Hauptwindrichtung endlich weiter und in der Dunkelheit noch ca. 10 km am Seeufer entlang nach Steinach. Damit war der erste Tag nach knapp 100 km paddeln geschafft, der Rhythmus gefunden und keine besonderen, körperlichen Beschwerden augetreten.

Teil 2 / Verlauf

Das Wetter blieb bis zum Schluss nicht mein Freund. Für den Kopf / das Ziel vor Augen war der Regen und die unerwartete Kälte im Juli (teilweise nur 11 Grad ) nicht das Problem. Nur sind solche Bedingungen, bei denen man nie richtig trocken wird oder bleibt und immer nasse Füsse in den Neoprenschuhen hat, körperlich mehr als anstrengend. Am 3. Tag musste ich daher durchfroren und erschöpft eine längere Pause einlegen, und war inzwischen einige Stunden hinter den Zeitplan. Das Team und die vielen Zusprüche via Blogbeiträgen waren wieder sensationell und so ging es deutlich hinter dem Zeitplan weiter dem Ziel entgeggen.

Es folgten weitere Tage mit vielen unterwarteten Schwierigkeiten: Die vielen Niederschläge liessen den Rhein täglich weiter ansteigen. Alle Umtragestellen an den Stauwehren bis Basel dauerten mehrfach länger als normal: Die Ein- und Ausstiege waren überflutet oder nicht mehr zugänglich (einmal wurde vom Kraftwerksbetreiber wegen Hochwasser vorsorglich der Steg abgeschraubt) oder am gedachten Wiedereinstieg waren so hohe Wellen durch den Kraftwerksausfluss, dass ein Ablassen des Bootes mit einem Seil an anderer Stelle notwendig wurde…

Hochwasser bedeutet aber auch schnelles Vorankommen: Bei der Mündung der Aaare waren 17 km/h im Boot kein Problem (schliesslich ist das der wasserreichste Zufluss zum Rhein in der Schweiz), auch die Durchfahrt durch Basel (auf die ich mich wirklich gefreut habe) war mit 17 km/h schnell erledigt; allerdings zwischen Schwemmholz und mit verrückter Wellenbildung durch das Hochwasser der Birs.

Mein eigentliches „Rennboot“, der Rockpool Taran musste bei diesen Verhältnissen erstmal auf dem Autodach bleiben und das Boot mit stabilerer Wasserlage, der Delphin von P&H eingesetzt werde, wenngleich das auch schwerer und langsamer ist. Damit, dass dieses Boot nach dem Wildwasser des Alpenrheins nochmal zum Einsatz kommt, habe ich bei der Vorbereitung nicht gerechnet.

Mir und dem Team war inzwischen klar, dass unter diesen äusseren Umständen der Rekord für die Strecke kaum mehr zu machen ist. Trotzdem blieb das Ziel, Rotterdam zu erreichen und täglich das Maximum aus der Situation zu machen unangefochten. Die Frage nach Abbruch stand überhaupt nicht zur Diskussion.

Mühsam waren dann noch die langen Staustrecken vor den grossen Staustufen wie Marckolsheim oder Rhinau mit mehreren hundert Meter breitem Fluss ohne Strömung, dafür mit Regen und Wind. Um so schöner dann deren Altrheinarme voller Wasservögel und wilder Natur, die man nur vom Boot aus zu Gesicht bekommt.

Das Hochwasser hat zu langsamen, bergfahrenden Berufsschiffen geführt – der Vorteil davon sind wenige, gut berechenbare Wellen. Talfahrende Schiffe habe ich kaum erlebt (warum ist mir nicht klar; vielleicht wegen der Strömungsgeschwindigkeit?). Schade, denn  auf deren Heckwellen kann man kraftsparend surfen…

Lange erwartet kam dann endlich am 5. Tag die letzte Staustufe des Rheins, nämlich Iffezheim. Danach fliesst der Rhein frei und nicht mehr reguliert (was weiter nördlich dann immer wieder zu verherenden Hochwassersituationen führt). Ab jetzt konnte ich wieder mit mehr Geschwindigkeit und Tageskilomtern im Boot rechnen. Doch es sollte anders kommen: bereits nach wenigen Kilomtern war der Rhein stellenweise über den Ufern, die begleitenden Uferwege unter Wasser und die Buhnenfelder ebenfalls unter Wasser. Die Strömung wurde vor allem durch die überfluteten Buhnen am Uferbereich unberechenbar, aber an eine Fahrt in der Strommitte war wegen der Berufsschiffahrt nicht zu denken. Ein Fahrfehler (der nach stundenlanger, konzentierter Fahrt durchaus drin liegt) mit Kenterung hätte dann eventuell zum Schwimmen in der Fahhrinne geführt – ein rauskommen als Schwimmer wäre dann erst mehrere hundert Meter weiter realistisch gewesen. Ich fuhr also zunehmend weniger entspannt dem nächsten Treffpunkt entgegen und der Entschluss unter diesen Umständen abzubrechen wuchs…

Sonntag, 13. Juli um ca. 17:00 Uhr

Ich habe gerade die französische Grenze hinter mir gelassen, habe damit 4 Länder passiert, bin pro Tag bisher bis zu 17 Stunden untwegs gewesen und habe meine Zieleinfahrt in Rotterdam immer noch vor Augen.  Gesundheitlich geht es mir einwandfrei, ich habe nie Muskelkater gehabt, nur ein wenig Schmerzen im unteren Rücken vom sitzen und im Daumengelenk vom paddeln. Ich habe erlebt, wie bekannte und fremde Menschen mir vom Ufer zugejubelt haben, mich mit ihren positiven Kommentaren aufgebaut, ermutigt und begleitet  haben, ich habe erlebt wie ein hoch über mir vorbeifahrender Zug gehupt hat (und ich in dem Moment irgendwie geahnt habe, dass es mir gelten könnte – danke Josi!), ich habe erlebt wie in meinem Dorf unerwartet viele Leute auf mich gewartet haben (und ich weinend drauf zu gefahren bin), ich habe tausende Seevögel und auch einen Biber gesehen, werde von meiner Familie und Freunden bei meinem langen gehegtem Traum begleitet (die alles für mich tun)  und treffe trotzdem gerade die Entscheidung die Fahrt hier zu beenden.

Sonntag, 13. Juli 17: 24 Uhr

Martin fischt mich, selbst am Seil gesichert und per Funk koordiniert, an einem steilem Ufer aus dem Rhein. Mein Team geht von einer Pause vor der Weiterfahrt aus. Als ich aus dem Wasser bin, gebe ich meinen Entschluss zum Abbruch wegen den äusseren Bedingungen bekannt. Es herrscht für einen Moment Stille. Aber mit Tränen in den Augen wissen wie alle, dass es vernünftig ist und wir fallen uns in die Arme.

Prolog

Ich bin bei schlechten, äusseren Bedingungen  in 5 Tagen, 10 Stunden und 10 Minuten 481,5 km auf dem Rhein vorwärts gekommen.

Ich weiss, dass es zu schaffen ist.

Thorsten Arp